Nur wenige Monate nach dem erfolgreichen Ende ihres 54-tägigen Hungerstreiks gehen die Übergriffe und Provokationen gegen die politische Gefangene Gülaferit Ünsal weiter. Die Freude und Erleichterung bei den solidarischen Unterstützer*innen waren groß, als am 29. Mai das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Canan Bayram das Gebäude des Pankower Frauenknasts verließ und verkündete, dass Gülaferit Ünsal ihren Hungertreik nach 54 Tagen erfolgreich beendet hatte.
Gülaferit ist eine politische Gefangene die im Juli 2011 auf Antrag der Bundesanwaltschaft in Griechenland in Auslieferungshaft gekommen und nach drei Monaten nach Deutschland in den Frauenknast in Berlin-Lichtenberg deportiert wurde. Nach zwei Jahren Isolationshaft wurde sie im Mai 2013 zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt.
Ihr wird vorgeworfen Mitglied in der türkischen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), gewesen zu sein. Dabei soll sie für den Verkauf von Zeitschriften und die Organisation kommerzieller Veranstaltungen zuständig gewesen sein und Spendenkampagnen koordiniert haben. Unter Verwendung des Gesinnungsparagraphen 129b wurden diese eigentlich legalen Tätigkeiten zu einer Gefahr für die Staatsicherheit der BRD hochgejazzt. Wie auch in anderen 129b-Verfahren beruhten große Teile der Anklage auf Informationen von türkischen Sicherheitskräften. Dass beim Zustandekommen solcher Beweise in der Türkei Folter keine Seltenheit ist, war für die Richter nicht relevant.
Mit ihrem Hungerstreik hatte Gülaferit gegen Schikanen und Provokationen durch Schließer*innen und unsolidarische Mitgefangene protestiert. Unter anderem wurde sie von einer Mitgefangenen mit einem Messer bedroht, von einem Schließer sexuell belästigt und es wurden ihr tagelang keine Zeitungen ausgehändigt – ihrer einzigen Möglichkeit sich über die Außenwelt zu informieren.
Nach über Wochen andauernden Protestkundgebungen und Demos vor dem Knast und in verschiedenen Städten Deutschlands und Europas, musste sich eine Abgeordnete die Forderungen der Bewegung zu eigen machen, damit der Widerstand gegen offensichtliche Rechtsbrüche zu einem Erfolg führte. „Für mich als Anwältin ist es absurd, dass man mehr als 50 Tage in den Hungerstreik gehen muss, um seine Rechte zu bekommen“, so Canan Bayram.
In einem von Gülaferit, ihrer Rechtsanwältin, der Gefängnisleitung und Canan Bayram unterschriebenen Protokoll wurde festgehalten, dass die Gefangene Zeitungen und Post künftig sofort ausgehändigt bekommt. Die Gefängnisleitung verpflichtete sich gegenüber Gülaferit „zu einem Umgang in interkulturell respektvoller Form”. Zudem sollten künftig Bedrohungen von Gülaferit im Gefängnis untersucht und geahndet werden. Sowohl Canan Bayram, als auch Hakan Taş (Linkspartei) ein weiteres Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses kündigten an sie regelmäßig zu besuchen, um die Versprechen der Knastleitung zu überprüfen, ebenso wie die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linke).
Drei Monate sind vergangen seit Knastleitung und Parlamantarier*innen ihre Versprechen abgegeben haben. Der Frauenknast in Pankow wurde Mitte Juli wegen Personalmangels geschlossen und Gülaferit in den Frauenknast Lichtenberg verlegt, wo sie bereits in Untersuchungshaft gesessen hatte.
Der Knast in Lichtenberg wird von der gleichen Leitung verwaltet, wie der Knast in Pankow und ist wohl zumindest von der Architektur her komfortabler. Der Hof ist größer und Gülaferit kann zum ersten mal seit vier Jahren wieder die Sonne sehen, weil sie bisher immer Zellen an der Nordseite hatte.
Das war es aber auch schon mit den positiven Entwicklungen. Die Schikanen durch die Schließer*innen, die von Pankow nach Lichtenberg mitverlegt wurden, gehen unvermittelt weiter und die Konflikte mit anderen sind auch alles andere als Geschichte.
Beispielsweise kam es zu einer Auseinandersetzung mit einer Mitgefangenen, die für die Herausgabe der Putzmittel verantwortlich war, die die Gefangenen brauchen um ihre Zellen in sauberem Zustand zu halten. Die Mitgefangene gab die Putzmittel allerdings nur an „Deutsche” Gefangene heraus. „Ausländerinnen” blieben außen vor. Ein Zustand, der Schließer*innen, frei nach dem Prinzip „teile und herrsche”, nicht zu stören schien. Dieses Günstlingssystem hat Gülaferit skandalisiert, kritisiert und dadurch verändert – der Putzschrank ist jetzt für alle Gefangenen zugänglich.
Wenige Tage später fiel zufällig nur in Gülaferits Zelle der Fernseher aus, den sie auch zum Telefonieren braucht. Als sie sich beschwerte sagten ihr die Wärter*innen sie könne ja bei der Telefonfirma anrufen.
Auch die Zeitungen wurden ihr nur solange zuverlässig ausgeliefert, wie Aktive der Roten Hilfe Berlin sie jeden Morgen persönlich beim Knast vorbei brachten. Seit die Rote Hilfe diese Praxis vor ca. zwei Wochen (Stand Ende August) wieder eingestellt hat, bekommt Gülaferit oft tagelang keine Zeitungen mehr.
Von den Parlamentarier*innen, die angekündigt hatten Gülaferit regelmäßig zu besuchen ist lediglich Canan Bayram am 1.Juli, also noch vor ihrer Verlegung nach Lichtenberg, aufgetaucht.
Die Schließer*innen fragen schon „Na, wo bleibt denn ihre Canan Bayram?”
Die letzten Monate haben wieder einmal gezeigt, dass das Wort von Mächtigen und Mandatsträger*innen nur solange das Papier wert sind auf dem sie geschrieben wurden, wie sie von einer solidarischen und kritischen Bewegung kontrolliert werden. Kaum hatte sich der Blick der Öffentlichkeit wieder von den Zuständen in den Berliner Frauenknästen abgewendet wurde das „System Pankow”, um es mit Gülaferits Worten zu sagen, wieder eingeführt. Es liegt an uns an uns die Knastleitung und Parlamentarier*innen wieder an ihre Versprechen zu erinnern.