Am 3. Oktober rief der Mannheimer Soulsänger Xavier Naidoo auf einer Reichsbürgerdemonstration dazu auf, gemeinsam das System zu stürzen. Beruflich hat ihm das bisher nicht geschadet. Dabei halten Experten Naidoo für eine unterschätzte Einstiegsdroge in ein ganzes Geflecht an abstrusen Verschwörungstheorien, die sehr gefährlich werden können. Auch seine ehemalige Band, die Söhne Mannheims, verbreiten in ihren Songs religiöse und politische Botschaften. Einhalt wird dem bisher nicht geboten: So dürfen Naidoo und Kollegen szene-typische Botschaften unkommentiert im TV verbreiten.
YouTube-Screenshot einer "Vox Now"-Sendung, die Xavier Naidoo auf der "Reichsbürger_innen"-Demonstration am 03. Oktober 2014 zeig.
Von Roland Sieber
Telegramm für X, so heißt wohl nicht nur das dritte Soloalbum des Mannheimer Musikers. Es ist ein Motto, dass wie ein roter Faden sein Wirken durchzieht: Von der breiten Öffentlichkeit kaum beachtet, finden sich in den Songs und Aussagen von Xavier Naidoo Andeutungen in einer für Truther (Anhänger_innen der verschwörungsideologischen, so genannten "Wahrheitsbewegung") sowie für antisemitische Gruppen verständlichen Szenen-Sprache. Am deutlichsten wird dies in seinem Song „Raus aus dem Reichstag“ von 2009:
„Baron Totschild gibt den Ton an und er scheißt auf euch Gockel. Der Schmock st’n Fuchs und ihr seid nur Trottel.“
Drei eindeutige antisemitische Sprachcodes in zwei Sätzen unterzubringen ist fast schon genial. Mit „Baron Totschild“ spielen unter anderem Neonazis auf die jüdische Bankiers-Familie Rothschild an, denen schon die Nazis unterstellten, hinter dem Federal Reserve System (FED) und damit hinter dem Banken- und Zinssystem zu stehen, dem in verschwörungsideologischer Manier die Schuld am allen sozialen Missständen und Kriegen der Welt gegeben wird. Das Wort Schmock wird spätestens seit dem Lustspiel „Die Journalisten“ von Gustav Freytag abwertend für jüdische Journalisten oder jüdische Snobs verwendet. Auch der schlaue Fuchs ist seit dem nationalsozialistisch-antisemitischen Kinderbuch „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid!“ von Elvira Bauer eindeutig antisemitisch konnotiert.
Wer solche Songzeilen wie Xavier Naidoo in seinem Album „Alles kann besser werden“ verbreitet, dürfte ein Antisemit sein. So wundert es nicht, dass sich Auszüge aus Naidoos Liedern und Aussagen seit Jahren in antisemitischen Kreisen und Netzwerken wie „TruTube“ verbreiten. Dort wird unter anderem der Holocaust geleugnet und gegen jüdische Menschen gehetzt.
Screenshot von der Truther-YouTube-Version "TruTube": Video zu Xavier
Naidoos "Raus aus dem Reichstag)
Fünf Jahre, nachdem Naidoo den Bundespolitiker_innen „Raus aus dem Reichstag“ entgegen schmetterte, unterstützte er am deutschen Nationalfeiertag eine Demonstration vor dem Reichstag in Berlin – zusammen mit den vorbestraften ehemaligen NPD-Kader Rüdiger Klasen und dessen „Staatenlos“-Gruppe sowie mit „Regierungsmitgliedern“ des Fantasiestaats „Freistaat Preußen“ . Es wurde dabei wieder einmal zum „Sturm auf den Reichstag“ sowie zum gewaltsamen Sturz der Bundesregierung aufgerufen.
Potenzielle rechtsterroristische Gruppen
Mit wem da Xavier Naidoo laut seiner eigenen Rede gemeinsam das System zum Sturz bringen und eine neue Ordnung aufbauen will, machten Razzien einige Wochen später mit Einsatzhundertschaft und SEK bei Anhänger_innen der Reichsideologen vom „Freistaat Preußen“ deutlich. Diese wollten sich laut Ermittlungsbehörden Kriegswaffen im Ausland besorgen, um eine eigene „Polizeigruppe“ aufzubauen (vgl. Neue Westfälische Zeitung).
In Antworten auf Presseanfrage hierzu verweisen Vertreter des „Freistaats Preußen“ auf den Mannheimer Soulsänger (vgl. Die Welt). Bereits 2012 unterlegte die selbsternannte „Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen“ ein Propagandavideo mit dem Song „IZ ON“ der Söhne Mannheims. Zuvor hatte die „Reichsbewegung“ in rassistischen Briefen an jüdische und muslimische Organisationen Gewalt angedroht, falls Juden und Jüdinnen, Muslime und Muslimas und schwarze Menschen Deutschland nicht verlassen.
Während Neonazis gegen ein angebliches „Zionist Occupied Government“ (ZOG) demonstrieren und „Truther“ gegen eine „Neue Weltordnung“ (NWO) mobilisieren, singt der Popstar Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims gegen das „Babylon-System“ an. Inhaltlich ist das ein ähnliches Feindbild: Eine herbeifantasierte geheime jüdische Weltregierung. Der Sänger und seine ehemalige Band transportieren dabei Antisemitismus und rufen zum Systemsturz auf (vgl. Publikative.org).
Nicht nur Reichsbürger_innen, die Anleitungen zum Aufbau von „Freien Reichsstreitkräften“ und rechtsterroristische Zellen verbreiten (vgl. Publikative.org), sondern auch die gewaltbereiten Hooligans der HoGeSa-Abspaltung „Gemeinsam-Stark Deutschland“ (GSD) und die antimuslimische „German Defence League“ (GDL) beziehen sich positiv auf Naidoos nationalistischen und antiamerikanischen Verschwörungstheorien.
Antisemitische Verschwörungstheorien
Am 24. Oktober 2011 war Xavier Naidoo im ARD-Morgenmagazin zu Gast. Dort wurde er gefragt, ob er sich in Deutschland frei fühle. Naidoo nutzte diese Gelegenheit um zu antworte: „Aber nein, wir sind nicht frei, wir sind immer noch ein besetztes Land! Deutschland hat noch keinen Friedensvertrag und ist dementsprechend auch kein echtes Land und nicht frei“. In der Reichsbürgerszene wurde er für diese Verbreitung einer derer Kernthesen gefeiert. Bereits damals trug der singende Politaktivist sein schwarzes Shirt mit der nationalistischen Reichsbürger-Parole „Freiheit für Deutschland“ in Weiß.
Dieses trug er auch bei seiner zweiten Rede auf seiner zweiten Demo am 3. Oktober 2014. Diese wurde vom damaligen „AK Berlin“ um Carsten H. und dem Reichsbürgeraktivisten Christoph Kastius sowie um den Chefredakteur des Querfrontmagazins Compact, Jürgen Elsässer, organisiert (vgl. Tagesspiegel). Der Fernsehsender „Vox“ dichtete diese rechte und antisemitische Demo (vgl. ngn) später in der Naidoo-Sendung „Bei meiner Seele - 20 Jahre Xavier Naidoo“ zu einer „linken Friedensdemo“ um. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, wie über den Mannheimer Pop-Barden antisemitische Demonstrationen vor einen Millionenpublikum gesellschaftsfähig gemacht werden.
Auf dieser rechten Versammlung rief Xavier Naidoo dazu auf, sich nicht spalten zu lassen und gemeinsame Sache mit den Reichsbürgern zu machen, bevor er seine Songzeilen „Was wir alleine nicht schaffen / Das schaffen wir dann zusammen“ anstimmte.
Frei sein?
In diesem Jahr tourt der Sänger unter dem Motto „Frei Sein“ durch Österreich und Deutschland. Bei Konzerten mit den Söhnen Mannheims trägt er weiterhin sein schwarzes Shirt mit der Aufschrift „Freiheit für Deutschland“. In der nationalistischen Szene wird diese Botschaft verstanden. Die passenden Shirts zu „Frei Sein“ gibt es im Xaviers Shop.
Screenshot YouTube: Xavier Naidoo mit „Freiheit für Deutschland“-Parole auf seinem Shirt
„Frei Sein“ könnte aber auch eine Anspielung auf die Sekten und Grüppchen um OPPT (One People's Public Trust), die I-UV-Bewegung (I Universal Value, auf Deutsch "Ich Universeller Wert") und die selbsternannte „Freeman“-Bewegung mit ihren angeblichen „freien und souveränen Menschen“ sein (= Vereinigungen, die dafür eintreten, dass es keine Staaten, Regierungen, Banken mehr geben soll). Deren Anhänger sind quasi die nordamerikanische Variante der Reichsbürger, die aber auch einen Ableger in der österreichischen Ortschaft Hollenbach zu etablieren versuchen und damit Polizei und Justiz beschäftigen (vgl. den über Reichsbürger_innen aufklärenden Blog "Sonnenstaatland" und nachrichten.at). Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims scheinen eine Vorreiterrolle darin zu haben, deutsche, US-amerikanischen und internationale Verschwörungstheorien zu vermischen. Diese werden von antisemitischen und verschwörungsideologischen Grüppchen hierzulande aufgenommen und in deren jeweilige Ideologie eingebunden. Der „OPPT/UCC (Uniform Commercial Code = heimliche "Weltordnung" des Handels)“-Trend ist inzwischen auch bei zahlreichen deutschen Reichsbürgergrüppchen angekommen.
(R)evoluZion
Noch deutlicher wurde der Gitarrist der Söhne Mannheims, Andreas Bayless, am 22. März 2015 auf Facebook, als er einen Artikel beim Teilen mit „(R)evoluZion!!!“ überschrieb. Ob „(R)evolution“, „R / evolution“, „RevolutZion“, „R[evol]ution“ oder „EVOLution“ – alles diese Wortspiele sind in einer Mischszene aus Erweckungschrist_innen, Truther_innen, antisemitischen Grüppchen und Reichsbürger_innen weit verbreitet. Das aktuelle „Best of“-Album der Söhne Mannheims heißt übrigens „Evoluzion“. Auf antisemitischen und verschwörungsideologische Websites und Foren stößt man auch beim Googeln der Parole „Wach auf Deutschland“. Diesen Schriftzug trug der DJ der Söhne Mannheims, Billy Davis, in der Vox-Musiksendung „Meylensteine" in Gold auf seinem schwarzen Shirt.
Screenshot von "VOX NOW": Billy Davis links mit „Wach auf Deutschland““-Schriftzug auf seinem Shirt
Bereits zuvor schrieben die Söhne Mannheims auf ihrer Homepage, um ihre aktuelle CD zu bewerben: „Evoluzion auf dem Vormarsch - mit der Frage „Was Ist Geblieben“? Steht auf, zeigt Flagge mit dem Video zur ersten und neuen Single des Best Of Albums!“. In dem verlinkten Musikclip ist dann Xavier Naidoo auf einer vermeintlichen „Friedensdemo“ zu sehen. Die einzigen zwei, auf denen er bisher war, waren antisemitisch. Zudem tritt Xavier Naidoo weiterhin mit seiner „Freiheit für Deutschland“-Parole auf dem Shirt bei Konzerten der Söhnen Mannheims auf.
Dabei betont der Mannheimer Sänger doch stets die Liebe und den Frieden. Singt aber andererseits auch Songzeilen voller Gewaltphantasien (vgl. Publikative.org) wie zusammen mit dem Rapper Kool Savas in „Wo seid Ihr jetzt?“: „„Ich schneide Euch jetzt mal die Arme und die Beine ab und dann fick ich Euch in’n Arsch, so wie Ihrs mit den Kleinen macht […] Warum liebst Du keine Möse? Weil jeder Mensch doch aus einer ist […] Wo sind unsere Helfer? Unsere starken Männer? Wo sind unsere Führer? Wo sind sie jetzt?“.
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